RP-Online, 3. März 2016
Psychisch erkrankte Straffällige
NRW: Bürger wehren sich gegen Forensik-Klinik
FOTO: Radowski
Wuppertal. Rund 750 neue Forensik-Plätze an fünf Standorten will NRW schaffen. Bis auf Hörstel gibt es überall massive Probleme. In Wuppertal entscheidet der Rat am Montag, inwieweit Bürger einbezogen werden.
Von Jörg Isringhaus
In einem Punkt sind sich alle Wuppertaler Beteiligten einig: Plätze für psychisch erkrankte Straffällige werden dringend benötigt. Nur vor der eigenen Haustür will sie niemand haben. Wird öffentlich, dass eine forensische Klinik geplant ist, gründen sich sofort Bürgerinitiativen (BI). Das ist überall im Land so. In der bergischen Metropole versuchen jedoch gleich drei BI, zwei alternative Standorte zu verhindern. Sicher ist: Eine Forensik in Wuppertal wird kommen. Genauso wie an vier anderen Standorten in NRW: Hörstel, Lünen, Haltern und Reichshof. Dort gibt es aber ähnliche Probleme. In Wuppertal will der Rat jetzt am Montag entscheiden, wie die Bürger bestmöglich am Prozess zu beteiligen sind. „Weil das Thema so emotional behaftet ist, setzen wir auf größtmögliche Transparenz“, sagt Stadtsprecherin Martina Eckermann. Originalartikel
Tatsächlich ist die Situation im Bergischen verfahren. Das Land präferiert eine eigene Fläche auf Lichtscheid, wo derzeit die Bereitschaftspolizei residiert. Dort befindet sich aber auch eine der teuersten Wohnlagen Wuppertals. „Dieses hochwertige Potenzialgebiet für Wohnbebauung braucht die Stadt dringend“, sagt Eckermann. Zuerst bot die Bergische Diakonie Aprath eine Ersatzfläche an, machte aber 2015 einen Rückzieher. So kam die Stadt in die Verlegenheit, eine Alternative hervorzaubern zu müssen – die Kleine Höhe, ein Naherholungsgebiet an der Grenze zu Velbert. Anwohnerproteste gibt es an beiden Standorten. „Denn wir müssen zweigleisig fahren“, sagt Christoph Meinerz, Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums, „sonst stehen wir am Ende da und haben nichts.“ Heißt: Scheitert Wuppertal mit der Kleinen Höhe, entsteht der Maßregelvollzug auf Lichtscheid.
Das Land hat bis 2020 einen Bedarf von rund 750 neuen Plätzen für psychisch kranke Straftäter errechnet. In den bestehenden Kliniken können derzeit 2400 Menschen behandelt werden. Etwa 17 Prozent der Täter in NRW sitzen wegen Sexualdelikten ein, rund 30 Prozent haben eine Suchterkrankung. Dass alle fünf Kliniken ab 2020 auch ihre Arbeit aufnehmen können, hält Meinerz für mehr als fraglich. „Bei dem Bau von Forensiken gibt es so viele Unwägbarkeiten, dass man die Fertigstellung niemals genau vorhersagen kann“, sagt Meinerz.
In Wuppertal muss es der Stadt gelingen, bis Ende 2017 auf der Kleinen Höhe Baurecht zu schaffen. Die politische Mehrheit für den Plan ist zwar breit, und der Stadtentwicklungsausschuss hat grünes Licht gegeben. Aber auch der Widerstand ist groß. Uwe Teubner von der BI Kleine Höhe fürchtet den Verlust eines Naherholungsgebietes. Immer wieder seien in den vergangenen Jahren Bebauungspläne wegen der hohen Kosten verworfen worden. Für große Teile des Gebiets gelte der Landschaftsschutz mit hohen Auflagen. „Mit Hilfe des Landes hofft die Stadt nun auf die Erschließung“, sagt Teubner. Rund 1000 Anwohner haben bereits mit einer Menschenkette gegen die Pläne protestiert. Die BI prüft derzeit juristische Schritte, um den, so Teubner, „sportlichen“ Zeitplan der Stadt zu torpedieren.
Gegenwind erhalten Verwaltung und Politik auch von der Kreisbauernschaft Mettmann. Die Landwirte ärgern sich vor allem darüber, dass fruchtbares Ackerland ohne Not bebaut werden soll. „In NRW verlieren wir schon pro Tag rund 15 Hektar Anbaufläche“, sagt Vorsitzender Martin Dahlmann. „Dass eine grüne Ministerin solche Gebiete vorschlägt, ist unverständlich.“ Rund fünf Hektar Gelände benötigt die Forensik, davon werden zwei Hektar bebaut. Das Gesamtgebiet Kleine Höhe hat rund 50 Hektar. Auch die Bauern planen Protestaktionen.
Ähnlich sieht es an den anderen neuen Forensik-Standorten aus. In Lünen klagt die Stadt gegen einen positiven Bauvorbescheid für die Zechenbrache „Victoria I/II“. Die Chance auf Erfolg sei zwar gering, sagt Meinerz, gleichwohl kann sich das Verfahren Jahre hinziehen. Auch in Haltern am See soll die Klinik auf einem Zechengelände entstehen, das die RAG aber noch nicht freigegeben hat. Baustart: ungewiss. In Reichshof hat der Oberbergische Kreis die für die Forensik vorgesehene Fläche wegen einer seltenen Fledermaus unter Naturschutz gestellt. Wie es dort weitergeht, ist völlig offen. Nur in Hörstel läuft alles rund. Niemand hat geklagt, mit dem Bau einer Klinik kann wohl 2018 begonnen werden. Meinerz: „2020 können wir fertig sein.“
Ob das in Wuppertal klappt, ist fraglich. Sollte es mit dem Baurecht auf der Kleinen Höhe nichts werden, wird das Land wohl erst 2018 intensiver in die Planungen für Lichtscheid einsteigen. Vorerst sollen die Wuppertaler auf Veranstaltungen und über das Internet am Verfahren beteiligt werden. Eckermann: „Wir gehen deutlich über das hinaus, was nötig wäre.“ Dafür immerhin gibt es Lob von allen Seiten.
Quelle: RP-Online