Forensik-Diskussion in Wuppertal
Stadt und Land hatten gemeinsam eingeladen, um – in Anwesenheit von Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) – Fakten und Hintergründe darzustellen und zu bündeln sowie den Bürgern und Bürgerinitiativen Raum für Nachfragen zu geben. Originalartikel
Oberbürgermeister Andreas Mucke machte in seiner Begrüßung deutlich, der Abend sei der Startschuss „für eine Beteiligung weit übers Übliche hinaus“. Er wurde in dieser Hinsicht ergänzt von Ministerin Steffens, die darauf hinwies, dass in früheren Polit-Zeiten die Landesregierung den betroffenen Kommunen, auf deren Gebiet eine Forensik gebaut werde sollte, dies lediglich mitgeteilt habe – ohne Möglichkeit zur Mitwirkung. Barbara Steffens: „Eine solche Landesverkündigungspolitik wollten wir nicht mehr.“
Die Ministerin sowie der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug, Uwe Dönisch-Seidel, der für die NRW-Forensiken zuständig ist, präsentierten ein umfangreiches Faktengerüst zum Themenspektrum was forensische Kliniken sind, warum man sie braucht, wieso an Wuppertal kein Weg vorbeiführt und, und, und…
Forensische Kliniken heutigen Zuschnitts, die den Status von Krankenhäusern haben und deren Insassen als Patienten betrachtet werden, gibt es in NRW seit 2000. Das Land hat 14 Stück davon. Dorthin eingewiesen werden psychisch kranke und/oder drogenkranke Straftäter von den Landgerichten. NRW hat 19 Landgerichtsbezirke, einer davon ist der Landgerichtsbezirk Wuppertal, der Wuppertal, Remscheid, Solingen und den nördlichen Kreis Mettmann mit rund 800.000 Einwohnern umfasst. Das Landgericht Wuppertal weist pro Jahr etwa 40 Straftäter in forensische Kliniken ein. Der Bezirk hat aber keine eigene Forensik – und laut Berechnungen des Landes NRW damit ein Defizit von 180 Plätzen. Zum Vergleich: In der Forensik in Bedburg-Hau in der Nähe von Kleve sind 500 Patienten untergebracht.
Das Land leitet daraus einen seit Jahren stetig steigenden Bedarf für eine solche Einrichtung in der Region des Landgerichtsbezirks Wuppertal ab. Uwe Dönisch-Seidel: „Der hiesige Landgerichtsbezirk hat kein einziges Bett für seine Patienten.“ Zumal die „ortsnahe“ Unterbringung, Therapie und Sicherung der Straftäter eine bedeutende Säule des Gesamtkonzeptes ist.
Durchschnittlich bleiben psychisch kranke Täter sieben Jahre in einer Forensik, bei Sexualdelikten kann die Zeit deutlich darüber liegen. 92 Prozent der in forensischen Kliniken Behandelten sind „rückfallfrei“ – laut Uwe Dönisch-Seidel „ein enorm hoher Wert“.
Auch zur baulichen Optik gab es Informationen: Forensiken haben nur eine Ein- und Ausgangspforte sowie eine 5,50 Meter hohe „Umwallung“, die nicht wie eine Mauer aussieht und wirkt, allerdings den selben Sicherheitszweck erfüllt. Das Wach- und Pflegepersonal stammt jeweils aus der Region: Zusammen mit Fachärzten und Therapeuten ergebe sich daraus ein wichtiges (und hoch qualifiziertes) Arbeitsplatzpotenzial.
Größenordnungstechnisch bräuchte man auf dem 30 Hektar großen Gebiet (ein Hektar sind 10.000 Quadratmeter) der Kleinen Höhe im Bezirk Uellendahl-Katernberg an der Grenze von Wuppertal, Wülfrath und Neviges ein Segment von fünf Hektar, von dem allerdings nur zwei Hektar tatsächlich bebaut werden würden.
Im Verlauf des von ruhiger und sachlicher Atmosphäre fast durchgängig geprägten Informations- und Diskussionsabends gab es zahlreiche Fragen aus dem Publikum. Ministerin Steffens sowie mehrere Vertreter der Stadt(-Verwaltung) versuchten, sie umfassend zu beantworten.
Das Land NRW hat im Landgerichtsbezirk Wuppertal insgesamt 33 denkbare Baugrundstücke geprüft. 29 von ihnen sind sofort als ungeeignet oder nicht zu haben ausgeschieden. Sehr große Abstände zu anderen (Wohn-)Bebauungen müssen beispielsweise gegeben sein, am Hang kann nicht gebaut werden, da das Innere einer Forensik nicht von außen einsehbar sein darf – außerdem müssen sämtliche Vorschriften des Krankenhausbaustandards (wie etwa ein strenger Lärmschutz) eingehalten werden. Ministerin Steffens machte deutlich, dass etwa das Areal der Firma Raspe in Solingen deshalb nicht geeignet sei. Und dass das Gelände am Simonshöfchen nicht in Frage komme, weil es einerseits zu klein ist, andererseits dort benötigte Grundstücke gar nicht zu verkaufen seien. Fazit: Das (landeseigene) Gelände auf Lichtscheid ist und bleibt erste Wahl, da es in jeder Hinsicht geeignet ist.
Allerdings: Angesichts des (zweifachen) Wuppertaler Ratsbeschlusses, eine Forensik auf Lichtscheid nicht zu wollen, sei die Kleine Höhe ebenfalls ein Option, so Barbara Steffens. Wenn es dort in Kürze einen rechtsgültigen Bebauungsplan gibt. Denn: „Wir suchen hier in der Region seit 2011, das Verfahren muss jetzt in Gang kommen. Psychisch kranke Straftäter, die nicht untergebracht werden können, sind eine Gefahr für die Bevölkerung.“
Wie wichtig ein Bebauungsplan auch im juristischen Gesamtkonstrukt ist, verschwieg die Ministerin nicht. Ihre Einschätzung: Wenn die Kommune für die Kleine Höhe einen solchen Bebauungsplan präsentieren könne, werde auch jedes Gericht im eventuellen Streitfall zugunsten der Stadt gegen das Land und gegen Lichtscheid entscheiden.
Übrigens: Das Bebauungsplanverfahren, das in Kürze auf die Schiene gesetzt werden soll, ist – darauf wies auch OB Andreas Mucke hin – grundsätzlich „ergebnisoffen“. Und in seinem Verlauf werden die gesetzlich vorgeschriebenen Belange von Umwelt-, Arten-, Landschafts- und Gewässerschutz berücksichtigt.
Apropos Landschaftsschutz: Viel Gegenwind aus dem Publikum gab es für die (grüne) Ministerin wegen der Bebauung der (grünen) Kleinen Höhe. Zahlreiche Fragen zielten auf das Thema „Verhinderung von Flächenfraß“. Barbara Steffens: „Nur eine grüne Fläche allein kann kein Kriterium sein. Die Kleine Höhe ist kein Landschaftsschutzgebiet. Für uns als Land hat ein neuer, dringend nötiger Forensikstandort absolute Priorität.“ Aber auch eine gewisse Entwarnung formulierte die Ministerin: Wenn auf der Kleinen Höhe eine Forensik entstehe, könne es dort keine Gewerbeansiedlung mehr geben.
Die Publikumsfragen zum Thema Geld wurden kurz und knapp beantwortet: Die Kosten der Erschließung des Geländes sowie die Kosten des Bebauungsplanverfahren gehen zu Lasten des Landes NRW. Barbara Steffens: „Da gibt es keine Deals.“
OB Mucke, der die Bürgerinitiative zum (Natur-)Schutz der Kleinen Höhe seit 30 Jahren kennt, machte keinen Hehl daraus, dass die jetzt anstehende Preisgabe eines Teiles des Areals „einen inneren Widerspruch“ für ihn bedeute. Angesichts der Tatsache aber, dass es beim Thema Forensik in Wuppertal „nicht mehr um das ‚ob‘, sondern nur noch um das ‚wo'“ gehe, müsse man sich auch vor Augen führen, dass es auf der Kleinen Höhe jetzt lediglich um fünf von 30 Hektar gehe.
Parallel zu den politischen Beratungen in der Bezirksvertretung Uellendahl-Katernberg und im Stadtentwicklungsausschuss wird es ab jetzt weitere Bürgerinformationsveranstaltungen zum Thema geben. Geplant ist auch, organisierte Besichtigungsfahrten zu forensischen Kliniken in NRW anzubieten, so dass Interessierte sich solche Einrichtungen vor Ort anschauen können.
Einen Kommentar zum Thema gibt’s am Mittwoch (17. Februar 2016) in der Rundschau.
Quelle: Rundschau-Online
Der Artikel geht vor allem auf die Argumente der Ministerin ein, dabei geht es bei der Diskussion um die kleine Höhe ja garnicht vor allem um die grundsätzliche Frage „Forensik ja oder nein“. Es geht vor allem um die Argumente Naturschutz, Landwirtschaft, Lebensqualität, warum soll die kleine Höhe besser geeignet sein als Lichtscheid und das Argument des OB „Stadtentwicklung“.
Fakt ist, die kleine Höhe ist eine wunderschöne, grüne und unerschlossene Fläche, die dem Wuppertaler Norden viel Lebensqualität bietet. Da finde ich es schon kritisch, dass eine Stadt sich ein Gebiet 40 Jahre lang als „Gewerbegebiet auf Abruf“ zurückhält, welches sich in dieser langen Zeit zu einem wichtigen Rückzugsgebiet diverser geschützter Tierarten entwickelt hat. Einen großen Komplex mit nem hohen, hässlichen Zaun mitten reinzustellen und einfach zu sagen, es sind ja nur 5 ha, finde ich ein bisschen billig. Die Auswirkung auf die Natur sind ja viel weitreichender.
Tatsächlich absurd wird für mich die Bebauung der kleinen Höhe, wenn man daran denkt, dass den Katernbergern der Bau einer Nahversorgung bzw. eines Supermarkts in Der Nähe zum geplanten Forensikstandort verwehrt wurde, wegen Naturschutzgründen!
Bleibt der Argumentionszweig „Stadtentwicklung“. Fakt ist, dass die Stadt Wuppertal noch überhaupt keine Garantie vom Land hat, das Grundstück auf Lichtscheid für die Wohnbebauung nutzen zu dürfen, selbst wenn die Stadt einen wasserdichten Bebauungsplan für die „kleine Höhe“ erstellen kann. Das heißt also, dass die Stadt die Kleine Höhe in Katernberg opfern möchte, um einen Plan nachzugehen, bei dem sie noch garnicht sagen kann, ob der so überhaupt klappt. Wie und wohin sich Lichtscheid also an der Müngstenerstr. weiterentwickeln soll, ist noch völlig unsicher. Ich bin mir allerdings sicher, dass unsere Stadt mit einer dritten Strafvollzugsanstalt in der Außendarstellung nicht attraktiver wird.
Ich fände es sehr sinnvoll, wenn sich mehr interessierte Wuppertaler für die Argumente beider Bürgerinitiativen interessieren würden. Denn auch ehrliches Interesse an den Meinungen meiner Mitbürger ist eine Form der Solidarität und Unterstützung, die zumindest der Debattenkultur in unserer Stadt gut zu Gesicht stehen würde. Die Infoveranstaltung am Donnerstag war da ein guter Anfang!